Ein Bericht von Kurt Lautensack:
Für zwei Wochen weilte ein kleines französisches Forscherteam in Gompertshausen, um die Entwicklung des Dorfes unter die Lupe zu nehmen. Ihre Untersuchungsergebnisse zur Entwicklung des Dorfes stellte das Frauen-Team im Mehrzweckgebäude von Gompertshausen vor.
Gompertshausen – „Leben so wie ich es mag, Leben spüren Tag für Tag, das heißt immer wieder fragen, das heißt wagen, nicht nur klagen, Leben so wie ich es mag…“, so heißt es in einem Song von Volker Lechtenbrink. Um das Leben, nicht nur wie wir es mögen oder gerne hätten, sondern um das Leben wie es sich „ganz unten“ abspielt, das ist Inhalt eines Forschungsprojektes. Als Beispiel für ihre Untersuchungen wählte die Forschungsgruppe die benachbarten Orte Gompertshausen (Südthüringen) und Alsleben (Unterfranken) aus. Betreut wird das Forschungsteam von Prof. Dr. Beatrice von Hirschhausen vom „Centre Marc Bloch“ (CMB), einem deutsch-französischen Forschungszentrum Berlin (siehe nebenstehenden Kasten).
Die französische Forscherin beschäftigt sich mit den Themenbereichen „Mobilität, Migration und räumliche Neuordnung“ und ist ganz besonders an der Entwicklung des ländlichen Lebens interessiert. Dabei lege sie bei ihren Forschungsprojekten Wert darauf, die Entwicklung „nicht von oben, sondern von unten“ zu betrachten. Mit anderen Worten, es sollte nicht der Blick von oben auf die Landkarte sein, sondern „nach unten zu den Leuten“, um durch alltägliche Handlungsweisen, wie Fragen, Interviews und Gesprächen mehr über das Leben der Einwohner und ihren Alltagsproblemen herauszufinden. Dazu wurde als Forschungsprojekt Gompertshausen auserkoren, um mit ihrem Team Untersuchungen zu Themenbereichen wie das örtliche Gemeinschaftsleben, zur Einwohnerentwicklung, zu den Pendelbewegungen in der Arbeitswelt, über Freundeskreise, über Wohnortswechsel sowie über persönliche Zukunftsaussichten oder Zukunftsängste durchzuführen.
Vorausschickend bemerkte Beatrice von Hirschhausen (Schwägerin von Eckart von Hirschhausen, Arzt und Fernsehmoderator) dazu, dass sie schon seit 1996 von der promovierten Valentine Meunier (ehemalige Mitarbeiterin CMB) viel über Gompertshausen gehört habe. Die damals junge Wissenschaftlerin von einer Universität in Paris, lebte zwischen 1995 und 1999 zehn Mal für ca. drei Wochen hier, um ihre empirischen Untersuchungen zu betreiben. Dabei seien ihr die Gompertshäuser und ihr Dorf ans Herz gewachsen. Noch heute hat sie einen guten Kontakt nach Gompertshausen, unter anderem zu Gudrun Leipold, wo sie während ihrer Aufenthalte gewohnt hat.
Durch die Arbeit, Berichte und begeisterten Erzählungen von Dr. Valentine Meunier über Gompertshausen, sei ihr Interesse geweckt worden, zu erforschen, wie sich das ländliche Leben bis heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, entwickelt bzw. gestaltet hat. So war nun nach Juli und September 2020 das Forscherteam im Juli 2021 bereits zum dritten Mal für zwei Wochen in Gompertshausen. Inzwischen war auch Alsleben in die Untersuchungen mit aufgenommen worden, doch sei man da noch nicht ganz so weit, so dass an diesem Abend die Ergebnisse ihrer Arbeiten zu Gompertshausen vorgestellt wurden. Um aber in einen Abend in lockerer Atmosphäre einzusteigen, lud Ortsteilbürgermeister Ulrich Lippmann zunächst zu einem kleinen Imbiss mit Getränken ein. Dabei zeigten auch die französischen Gäste, dass sie durchaus auch gerne Bier trinken. Natürlich brauchte es nicht erst Bier für eine gut aufgelegte große Tischrunde, an der auch Bürgermeister Christopher Other teilnahm. Es freue ihn, dass dieses Projekt weitergeführt werde und ein solcher reger Austausch stattfinde. Erleichternd trug dazu bei, dass es keine Sprachbarrieren gab, weil alle Französinnen deutsch sprachen mit dem ihnen eigenen wohlklingenden Akzent.
Ergebnisse der Untersuchungen zu Gompertshausen
Nach einigen wenigen Grafiken zu Pendlerbewegungen im Landkreis (Einpendler, Auspendler) und statistischer Betrachtung von Bevölkerungszahlen in den neuen Ländern zwischen 1991 und 2011 (Meck-Pomm. und Mitteldeutschland, Rückgang bis zu 19,7%) bzw. dem Wachstum zwischen 2011 und 2016 (zwischen +2 und -46%), fällt das Ergebnis für Gompertshausen deutlich positiver aus. Hier sei als eine erste Wahrnehmung „die lokale Verwurzelung der Einwohner beeindruckend und für uns ziemlich erstaunlich“ gewesen, meinte Beatrice von Hirschhausen. So dynamisch und selbstverständlich sei das Landleben in Frankreich nicht, waren sich die Forscherinnen einig. Ebenso frappierend sei auch die starke Familienpräsens, begründet durch das dörfliche und soziale Leben und durch die aktiven Vereine, stellte die Gruppe bei ihren Untersuchungen fest. Engere Bindungen zu Freunden und Familien würden sich im Ort selbst und auf die nähere Umgebung, u.a. auf Rieth, Schlechtsart, Heldburg, Gleichamberg oder Streufdorf beziehen. Auch die weiter weg wohnenden (Erlangen, Allgäu, Leipzig, Berlin, Frankfurt/M.) zeigten eine starke Bindung zu ihrem Dorf.
Natürlich spielen Arbeitssituation und Arbeitsorte eine wichtige Rolle. So gehören neben Gompertshausen selbst, Orte wie Hildburghausen, Heldburg oder Hellingen dazu. Entscheidend auch das starke Pendeln z. B. nach Bayern, ob Coburger Raum, Bad Rodach, Bad Königshofen oder Bad Neustadt. Dadurch, so wurde herausgestellt, „bleiben vor allem viele junge Leute im Dorf“. Als Ausbildungs- und Studienschwerpunkte wurden u.a. Hildburghausen, Meiningen, Leipzig, Suhl oder Bamberg festgehalten. Da sich nach einer Studie gerade Menschen zwischen 16 und 25 Jahren für einen Wohnortwechsel (ja/nein) entscheiden, seien der Freundeskreis, Ehepartner oder zukünftige, die Nähe des Arbeitsplatzes oder die Bindung zum Dorf entscheidende Kriterien für ein Bleiben der jungen Leute in Gompertshausen.
Und wie sehen die Gompertshäuser ihre Zukunft? Was den Ort betreffe, seien alle sehr optimistisch, wenn auch hin und wieder der Frage auftauche, was mit dem Haus mal werde. Allerdings bestehe ein starker Kontrast, wenn es um das Vertrauen in die Arbeit von Land und Bund gehe, was Zukunftsängste betreffe. Denen weiter ober traue man also nicht so sehr.
Für Christopher Other sei diese Erhebung des Mikrokosmos Gompertshausen sehr bedeutsam und in gewisser Weise identisch für das Heldburger Unterland. So waren die Ergebnisse für beide Seiten sehr aufschlussreich. Natürlich verspürten sie ihre Untersuchungsergebnisse im Team selbst, wenn sie von der Herzlichkeit der Gompertshäuser sprachen, von ihrer Offenheit und jeglicher Bereitschaft, wenn es um die Unterstützung ihrer Arbeit ging. Aber auch für das sonst Erlebte einschließlich der Exkursionen und Besichtigungen sagten sie danke. So werden sie Gompertshausen und seine Einwohner in bester Erinnerung behalten.
Vorstellung des französischen Forscherteams
Damit die Gompertshäuser ein wenig mehr über die Vita der Forscherinnen erfuhren, gab es eine kleine persönliche Vorstellungsrunde. So lagen das Studium der Sozialwissenschaften und Doktorarbeiten natürlich längst hinter Projektleiterin Beatrice von Hirschhausen (Paris, Nizza) und Laure de Verdalle (Paris, Berlin). Beatrice studierte Geschichte und Geografie, habilitierte an der Universität Paris Panthèon Sorbonne, war zwei Jahre in Rumänien, Stellvertretende Direktorin am Centre Marc Bloch in Berlin u.v.m.. Laure, assoziiertes Mitglied des CMB und Soziologin, promovierte über das Theater in den neuen Bundesländern und über die beruflichen Lebenswege der ostdeutschen Theaterleute. Josèphine Lecuyer, Doktorandin an der Universität Paris Pantèon-Sorbonne, Fachbereich Geographie, Master in Germanistik und Geographie. Verfasste ihre Doktorarbeit über Mecklenburg-Vorpommern.
Außerdem gehören zum Team Lola Gourdon, die gerade ihr Studium der Politikwissenschaft abgeschlossen hat und bereits mit 14/15 Jahren erstmals in Deutschland war. Sie hatte „keine Lust mehr auf die Franzosen“ (Heiterkeit) und wollte „einfach gucken, wie es woanders aussieht“. Mit dabei auch Elisa Ledain, die im kommenden Jahr in Paris ihr Pädagogik-Studium abschließt und gegenwärtig über die „Mobilität in Gompertshausen und Alsleben“ schreibt. Camille Duhamei studiert Soziologie und Stadtplanung in Paris während Naèva Bèreau ihre Masterarbeit über Lebenswege der Ostfrauen schrieb und sich als Hobbyfilmerin und Fotografin betätigte. Sie alle ließ sie das Projekt im Centre Marc Bloch an der Humboldt-Universität Berlin aufeinandertrafen.
Das „Centre Marc Bloch“ (CMB) in Berlin
Kurz nach dem Fall der Berliner Mauer beschlossen die deutsche und die französische Regierung, ein deutsch-französisches Forschungszentrum für Geistes- und Sozialwissenschaften mit europäischer Ausrichtung ins Leben zu rufen. Gegründet wurde es am 9. Oktober 1992 und offiziell eröffnet am 8. September 1994. Es erhielt den Namen des französischen Historikers Marc Bloch (1886–1944). Seit Januar 2011 ist es durch einen Kooperationsvertrag eng mit der Humboldt-Universität Berlin verbunden und hat auch dort seinen Sitz. Seit Januar 2016 ist das CMB nach deutschem Recht ein eingetragener Verein und hat den Status eines französischen Forschungsinstituts im Ausland. Da sich das Centre Marc Bloch als Forschungs- und Ausbildungseinrichtung versteht, legt es auch großen Wert auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und nimmt für eine variable Dauer Studierende, Forscher*innen und Promovierende auf. Es veranstaltet ein regelmäßiges Forschungskolloquium, in dem von Forschungsgruppen laufende Arbeiten, das heißt Projekte, Publikationen und aktuelle deutsch-französische Themen, vorgestellt und besprochen werden. Dabei treffen Leute aus dem genannten Personenkreis mit unterschiedlichen fachlichen und nationalen Hintergründen aufeinander, um gemeinsam Themen quer Beet zu bearbeiten. Daraus entstehende konkrete Forschungsobjekte, so wie am Beispiel des obigen Beitrages, die ein breit gefächertes Spektrum an Themenkomplexen abdecken.